“Let Go”

Anfang April dieses Jahres hatte ich die wirk­lich tolle Gele­gen­heit, in die Roh­fas­sung einer Musik-CD hin­ein­hö­ren zu dürfen. Damals wusste ich nicht viel mehr über diese Pro­duk­ti­on, als dass ein guter Freund als Musi­ker daran betei­ligt gewe­sen ist. Heute, wo die frisch gepress­te CD vor mir liegt, weiß ich aber, dass ich einer der frü­hes­ten Hörer dieses Albums gewe­sen sein muss. Und somit für mich Grund genug, hier an dieser Stelle etwas mehr ins Detail zu gehen.

Reden möchte ich mit Euch über das aktu­el­le Album „Let Go“ von Chris­toph Berg­horn, wel­ches seit kurzer Zeit als Com­pact-Disc und digi­ta­ler Down­load zur Ver­fü­gung steht. Ich werde in diesem Arti­kel aber ganz old­school die CD bespre­chen, da ich es per­sön­lich nicht so mit iTunes, Amazon Music und Spo­ti­fy habe ;-)

Spä­tes­tens beim Namen Chris­toph Berg­horn dürfte der eine oder andere mit der Stirn gerun­zelt und sich gefragt haben: „Wer ist das? Nie gehört!“ Und doch darf ich zumin­dest den Eltern unter Euch ver­si­chern, dass Ihr bestimmt schon mal eine Melo­die von Ihm im Ohr hattet. Kennt Ihr Detlev Jöcker? Genau! Der junge Mann, der immer so schöne Kin­der­lie­der kom­po­niert und dabei auch ganz oft am Kla­vier beglei­tet wird. Na, wer hat da wohl ganz vir­tu­os die 88 Tasten des Kla­viers bespielt? Stimmt! Unser Künst­ler des Tages, der Christoph.

Ihr merkt schon, wir reden hier über keinen Super­star den jeder kennt, aber defi­ni­tiv über einen Voll­blut­mu­si­ker, der sein Geschäft wie kein Zwei­ter versteht.

Dies ist wahr­schein­lich auch mit einer der Gründe warum es Ihm gelun­gen ist, für dieses Pro­jekt ganz viele tolle Gast­mu­si­ker um sich zu scha­ren. Unter ande­rem Doort­je Mail­lard am Cello; Dr. phil. Mat­thi­as Keidel an diver­sen Saxo­pho­nen und dem eher selten zu hören­dem Chalu­meau; Frank Hösing am Flü­gel­horn und – der mit seinen 16 Jahren abso­lu­te Youngs­ter in dieser Zusam­men­stel­lung – Finn Keidel als Perkussionist.

Doch reden wir über das Album, wel­ches hier seit ein paar Stun­den im CD-Player auf und ab läuft, da es mir wirk­lich rich­tig gut gefällt. Nur warum? Das erzäh­le ich Euch jetzt.

Mein erster Ein­druck nach dem Öffnen des Brief­um­schla­ges war „Wow!“, weil die Track­list nicht weni­ger als 22 Stücke lang ist. Das ist mal ´ne Haus­num­mer! Glück­li­cher­wei­se steht aber neben jedem Track auch die Spiel­zeit ange­ge­ben, so dass ich mir schnell und unkom­pli­ziert einen Über­blick über die ein­zel­nen Lauf­zei­ten ver­schaf­fen konnte. In diesem Fall ist das kür­zes­te Stück 1:25 Minu­ten lang und das längs­te 5:43. Netto kommen wir also auf eine abso­lu­te Spiel­zeit von knapp 71 Minu­ten, sprich der frisch gepress­te Sil­ber­ling ist mehr als gut gefüllt.

Die Optik – und auch die Haptik – stimmt bei diesem Digi-Pack eben­falls, setzt sich das auf dem Cover auf­ge­grif­fe­ne Thema mit Strand, Möwe und Meer, doch auch im Book­let und auf der eigent­li­chen CD fort. So wirkt alles wie aus einem Guss und das kom­plett in Eng­lisch gehal­te­ne Book­let ist dar­über hinaus auch noch sehr infor­ma­tiv gestal­tet. Letz­te­res – die Wahl des Angel­säch­si­schen als Text­spra­che – ist wohl dem Umstand geschul­det, dass man mit diesem Album auch den ame­ri­ka­ni­schen Markt im Sturm erobern möchte. Und ich bin mir schon jetzt ziem­lich sicher, dass die von musi­ka­li­schem Schund geplag­ten Amis diese Schei­be lieben werden.

Genre-tech­nisch ein­ord­nen lässt sich dieses Album übri­gens am ehes­ten bei New Age oder Medi­ta­ti­ons-Musik. Wer jetzt aber einen gäh­nend lang­wei­li­gen Lang­spie­ler erwar­tet, irrt gewal­tig. Die Musik mag stel­len­wei­se medi­ta­tiv und nie auf­ge­regt sein, den­noch ist diese stets span­nend und tief­grün­dig. Dies wird durch den gekonn­ten Ein­satz der Instru­men­te noch ver­stärkt, die bei keinem der Stücke alle gemein­sam zu hören sind. Wäh­rend sich bei eini­gen Tracks das Kla­vier und das Sax per­fekt ergän­zen („Piano Reflec­tions 1 & 2“), domi­niert bei ande­ren Lie­dern das Cello („Cel­lo­dy für Annika“) oder das Flü­gel­horn („Ocean Dream“). So bekommt jedes Instru­ment – und auch jeder der Künst­ler – genau den Frei­raum den es verdient.

Was Euch bei diesem Album auch defi­ni­tiv nicht erwar­tet, ist wildes Solo-Gef­ri­ckel der ein­zel­nen Künst­ler. So per­fekt auch alle Ihre Instru­men­te beherr­schen, es wird für den Hörer nie anstren­gend oder gar nervig. Kurzum, der Ego­is­mus – wie er ja im Jazz und ande­ren Musik-Genres häufig zu beob­ach­ten ist – hatte hier keine Chance und alle Künst­ler haben als ein großes, gemein­sa­mes Ganzes agiert. Sehr zum Vor­teil für den geneig­ten Zuhö­rer, der mit dieser Schei­be viel­leicht seinen Fei­er­abend oder seine Medi­ta­ti­on ange­neh­mer gestal­ten möchte und in solch einem Moment gar keine Lust auf einen Wett­streit unter Musi­kern hat. Wer dies wünscht, sollte sich viel­leicht eher nach einer CD von Dream Theater, frühen Werken von YES oder den bri­ti­schen Jungs der Band Haken umschauen ;-)

Spä­tes­tens an dieser Stelle sollte der letzte unter Euch bemerkt haben, dass mir dieses Album erstaun­lich gut gefällt, auch wenn ich ansons­ten ja eher für Musik der här­te­ren Gang­art bekannt bin. Trotz­dem möchte ich an dieser Stelle nicht jeden der Songs im Ein­zel­nen bespre­chen, ana­ly­sie­ren, demon­tie­ren oder was auch immer. Das mache ich sonst auch nicht und dies werdet Ihr auch jetzt nicht erleben.

Dafür habe ich aber ein paar rich­tig gute Anspiel-Tipps für Euch im Gepäck:

  • „Piano Reflec­tions 1 & 2“ – diese beiden Tracks laufen hier quasi auf Dau­er­schlei­fe. Top!
  • „Egyp­tina“ – eine Ara­bes­que, ganz wie ich sie mag. Nicht zuletzt des­we­gen, weil ich mich stel­len­wei­se an die alten Schei­ben von Tan­ge­ri­ne Dream erin­nert fühle.
  • „Cel­lo­dy for Annika“ – kann man schö­ner Cello spie­len? Ich denke nicht.
  • „Ocean Dream“ – Kla­vier, Flü­gel­horn, ein paar Synth-Effek­te und fertig ist der per­fek­te Album-Closer.
  • „Tre di sax“ – Saxo­fon-Impro­vi­sa­ti­on vom Feins­ten, gespielt von Mat­thi­as Keidel!
  • „Once Again“ – hier „weint“ das Cello so süß und bit­ter­lich, wie man es sonst nur von den Jungs der Band Apo­ca­lyp­ti­ca kennt. Wit­zi­ges Detail am Rande: Die letz­ten drei der am Ende des Stü­ckes gespiel­ten Noten – ist es A G A? – erin­nern mich sofort an den ersten Absatz von Bachs Toc­ca­ta und Fuge. Trügen mich meine Ohren? Sag mal was dazu, Christoph ;-)
  • „Closed Eyes“ – Viel­leicht das ein­gän­gigs­te Pia­no­stü­cke auf diesem Album, wel­ches mit seiner Spiel­zeit von nur 1:28 Minu­ten viel zu kurz ist. Herr Berg­horn, ich hätte hier von gerne einen 12“-Remix.

So, genug geplau­dert! Die rest­li­chen Stücke müsst Ihr Euch ganz allei­ne erar­bei­ten und seid ver­si­chert, es lohnt sich wirk­lich. Außer­dem reißt dieses Album mit einem Obolus von gerade einmal 9,99 Euro kein nen­nens­wer­tes Loch in Eure Haus­halts­kas­se. Für so wenig Kohle müsst Ihr woan­ders erst einmal annä­hernd so viel Musik finden! 


CD: Chris­toph Berg­horn – „Let Go“ – 2019

Track­lis­te:

  1. Let Go
  2. Piano Reflec­tions 1
  3. Cel­lo­dy for Annika
  4. Piano Reflec­tions 2
  5. Loo­king Back
  6. Once Upon A Time
  7. Egyp­tina
  8. Going On
  9. Once Again
  10. Wind
  11. Tre di sax
  12. Illu­si­on
  13. Total Slow Down
  14. From The Heart
  15. Softly Sway­ing Away
  16. Like A Dream
  17. Elegy
  18. Closed Eyes
  19. Field Of Sunflowers
  20. Melan­cho­lia Waltz
  21. Bet­ween Three Worlds
  22. Ocean Dream

Spiel­zeit: 71:08

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert